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Querbeet :: Sozialkahlschlag

Immer mehr Montagsdemos: Jetzt die Arbeitsämter besetzen?

Die junge Welt vom 10.08.2004 sprach mit Peter Grottian, Professor für Politologie an der Freien Universität Berlin und Aktivist im Berliner Sozialbündnis:

…meine dringende Warnung ist: Bei einer Demonstration darf man es nicht belassen. Wir brauchen demokratischen zivilen Ungehorsam.

Frage: Zum Beispiel?

Dazu gehört die Besetzung von Arbeits- und Sozialämtern. Wir sollten ein anständiges Grundeinkommen statt der bisherigen Sozialhilfe fordern. Die Aktionskonferenz der sozialen Bewegungen, die Mitte September in Frankfurt am Main stattfinden wird, muß neue Aktionsformen diskutieren, die von den Menschen angenommen werden. Sonst laufen die Proteste an uns vorbei wie die ersten Montagsdemonstrationen und verpuffen.

 

junge Welt vom 10.08.2004 - Interview

Immer mehr Montagsdemos: Jetzt die Arbeitsämter besetzen?

jW sprach mit Peter Grottian, Professor für Politologie an der Freien Universität Berlin und Aktivist im Berliner Sozialbündnis
Interview: Damiano Valgolio

 

F: Vor knapp zwei Wochen haben Sie in einem Diskussionspapier von den sozialen Bewegungen den »Heißen Herbst gegen Hartz« gefordert. Sind die Montagsdemonstrationen das, was Sie sich vorgestellt haben?

Die Wiederbelebung der Montagsdemonstration finde ich sehr gut. Wenn es in Berlin losgeht, bin ich dabei. Die heuchlerische Attacke von Wolfgang Clement gegen die Proteste zeigt ja schon, daß die Demonstranten auf dem richtigen Weg sind. Aber meine dringende Warnung ist: Bei einer Demonstration darf man es nicht belassen. Wir brauchen demokratischen zivilen Ungehorsam.

F: Zum Beispiel?

Dazu gehört die Besetzung von Arbeits- und Sozialämtern. Wir sollten ein anständiges Grundeinkommen statt der bisherigen Sozialhilfe fordern. Die Aktionskonferenz der sozialen Bewegungen, die Mitte September in Frankfurt am Main stattfinden wird, muß neue Aktionsformen diskutieren, die von den Menschen angenommen werden. Sonst laufen die Proteste an uns vorbei wie die ersten Montagsdemonstrationen und verpuffen.

F: Ziviler Ungehorsam war bisher eine Aktionsform einer kleinen Minderheit. Lassen sich die Betroffenen von »Hartz IV« dafür gewinnen?

Es muß eine gute Mixtur werden, wir dürfen Menschen nicht überfordern. Viele Aktionen erfordern Courage, aber wir sollten auch nicht die Wut der Menschen unterschätzen. Eine Demonstration hat natürlich einen großen Effekt. Aber nur mit weitergehenden Aktionen können wir »Hartz« zu Fall und seine Schöpfer in die Bredouille bringen.

F: Gibt es überhaupt einen Zusammenhang zwischen den Protesten gegen »Hartz IV« und den historischen Montagsdemonstrationen?

Die sind natürlich nicht direkt vergleichbar. 1989 ging es um demokratische Forderungen gegen ein bestimmtes Herrschaftssystem. Diesmal geht es um soziale Forderungen. Pfarrer Führer aus Leipzig – damals und heute aktiv – hat recht, wenn er sagt, die Revolution muß auch ein sozialpolitisches Gesicht haben. Die Denunziation der Proteste durch Minister Wolfgang Clement zeigt das merkwürdige Demokratieverständnis der Herrschenden.

F: »Hartz« und Agenda 2010 sind schon lange beschlossen. Warum explodiert gerade jetzt der Protest?

Die Menschen haben gerade die »Hartz«-Fragebögen bekommen, sie merken, daß es nun ernst wird. Auch diejenigen, die sich bisher relativ sicher fühlten, bekommen langsam ein mulmiges Gefühl. Es sind Menschen betroffen, die sich niemals hätten träumen lassen, daß sie irgendwie mit Armut in Berührung kommen könnten.

F: Eröffnet das dem Widerstand gegen den Sozialabbau neue Perspektiven?

Es droht die totale Armut, niemand kann sich einreden, er bräuchte nur den Gürtel etwas enger zu schnallen. Neben Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern sind neuerdings Menschen betroffen, die besser zu mobilisieren und politisch organisationsfähiger sind. Wenn diese Menschen in Bewegung kommen, kann das auch diejenigen mitreißen, die schon resigniert haben. Die Frage ist, ob sich die Leute verkriechen und einfach ihren Fragebogen ausfüllen, oder ob sie Widerstand leisten. Deshalb plädiere ich dafür, jeden Empfänger des »Hartz«-Fragebogens persönlich anzuschreiben und zu den Protesten einzuladen.

F: Die Berliner Linke warnt vor der Beteiligung von Neonazis an den Protesten. Eine reale Gefahr?

Ich plädiere dafür, die Montagsdemonstration als wichtiges Instrument im Widerstand gegen »Hartz IV« zu nutzen. Dabei sollte man sich in keinster Weise beirren lassen, weder von Wolfgang Clement noch von den Rechten. In einigen linken Stellungnahmen zu diesem Thema vermisse ich ein klares Bekenntnis zu den Protesten. Wir sollten die lokalen Gruppen und Organisatoren dabei unterstützen, die Neonazis von den Demonstrationen zu vertreiben.

F: Wird sich die Bundesregierung von den Protesten beeindrucken lassen?

Beim Auszahlungsdatum wird Clement nachgeben. Bei der Kabinettsklausur im September wird die Regierung in dieser Frage nachgeben. Aber das ändert nichts an der Grundkonstellation. Bei der Arbeitslosenhilfe und dem Arbeitslosengeld II geht es um Grundsätzliches. Mit solchen Zugeständnissen wird die Regierung niemanden ruhigstellen.
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Adresse: http://www.jungewelt.de/2004/08-10/017.php

Posted: Di - August 10, 2004 at 02:15 nachm.  
   
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